Ich habe selbst erlebt, wie eine Mutter, die sich bewusst entscheidet, länger Zeit mit ihrem Kind zu verbringen, sich immer wieder in einer Rechtfertigungsposition wiederfindet.
Dabei ist es sowohl für die junge Mutter als auch für das so kleine Kind ein erheblicher emotionaler Stress, den diese viel zu frühe Trennung mit sich bringt. In unserer Gesellschaft ist es schon schwer genug, unsere Urinstinkte in Bezug auf das Muttersein überhaupt zu beleben, mit der Mutter in uns in Kontakt zu kommen und in sich – fernab von der tsunamiartigen Überhäufung mit Ratgebern und Babyzeitschriften – eine ganz eigene Wahrheit und Liebe zu seinem Kind entstehen zu lassen. Wenige, das ist mein Erleben im Kontakt mit den vielen verunsicherten Müttern, haben je wirklich gespürt, was sie für ihr Kind bedeuten, haben je zu einem tiefen Vertrauen in ihre weiblichen Fähigkeiten als Mutter gefunden.
All das stellt sich nicht von heute auf morgen ein. Es kostet Zeit ohne Druck. Oft bleibt den Müttern aber im Idealfall ein Jahr, bevor sie in den absoluten Wahnsinn aus Beruf, Familie und Haushalt einsteigen, indem oft nur noch Raum fürs Funktionieren bleibt. Die emotionale Trennung beginnt viel früher, da der Termin der tatsächlichen Trennung schon lange absehbar ist. Für viele Mütter führt diese so frühe Trennung von ihrem kleinen Kind zu einer großen seelischen Belastung, da Schuldgefühle gegenüber dem Kind aufgrund des Verlassens dem Funktionsanspruch unserer Gesellschaft, Familie und Arbeit zu verbinden, gegenüberstehen. Da prallt der Verstand auf das Herz. Nicht selten habe ich erlebt, wie diese Mütter ihr Herz gegenüber ihrem Kind teilweise verschließen, um diese unglaubliche Diskrepanz nicht länger spüren zu müssen.
Für die Kinder in den ersten drei Lebensjahren, insbesondere umso kleiner die Kinder sind, bedeutet diese frühkindliche Trennung von der Mutter eine existenzielle Konfrontation mit dem Schrecken des Alleinseins. Die natürliche Beziehung zur Mutter, die grundlegende erste Seins-Erfahrung in Bezug auf Sicherheit, Geborgenheit, Verlässlichkeit bis hin zur Ausbildung des Urvertrauens wird empfindlich gestört. Im Idealfall werden in den ersten Jahren der körperlichen Geborgenheit und des engen Kontakts zwischen Mutter und Kind die Grundbausteine für die zukünftige Bindungsfähigkeit gelegt. Umso präsenter und verlässlicher die Mutter für das Kind ist, umso sicherer wird das Kind sich in seinem eigenen, der natürlichen Entwicklung angepassten Tempo von ihr entfernen, immer mit dem sich versichernden Blick, dass der vertraute Hafen der Mutter noch in greifbarer Nähe ist und jederzeit erreicht werden kann. Dieser Prozess geht natürlicherweise vom Kind aus und unterliegt einem individuellen Zeitplan. Wird dieser Zeitplan gestört oder wird diese Loslösung zu früh und unter Druck forciert, entstehen irreparable Störungen in der Bindungsfähigkeit, dem Urvertrauen und in dem Sicherheitsgefüge des Kindes.
Der Preis für die betroffenen Kinder und späteren Erwachsene ist hoch. Teile der Verlorenheit, die die Trennung für das Kind mit sich bringt, halten unter Umstände lebenslang an. Man muss nicht weit schauen, um die Verlorenheit unserer Gesellschaft zu spüren, eine Verlorenheit, die ihre Wurzeln oft in der frühesten Kindheit hat. Den wenigsten Menschen, die ich kenne, ist es heute spontan möglich, aus sich heraus ihrer Seele Ausdruck zu verschaffen, auch weil wir oft sehr früh schon mit Konditionierungen gelernt haben, uns möglichst konform zu verhalten. Wir haben Menschen hervorgebracht, die ihre inneren Impulse und Affekte zugunsten einer gesellschaftlichen Anpassung kontrollieren können, um möglichst lange reibungslos zu funktionieren. Menschen, die sich scheuen, die Regeln und Normen der Gesellschaft infrage zu stellen, die ihre einzige Sicherheit geworden ist.
Teil 2