Der Sieg über die Kraft. — Erwägt man, was bisher Alles als „übermenschlicher Geist“, als „Genie“ verehrt worden ist, so kommt man zu dem traurigen Schlusse, dass im Ganzen die Intellectualität der Menschheit doch etwas sehr Niedriges und Armseliges gewesen sein muss: so wenig Geist gehörte bisher dazu, um sich gleich erheblich über sie hinaus zu fühlen! Ach, um den wohlfeilen Ruhm des „Genie’s“! Wie schnell ist sein Thron errichtet, seine Anbetung zum Brauch geworden! Immer noch liegt man vor der Kraft auf den Knieen — nach alter Sclaven-Gewohnheit — und doch ist, wenn der Grad von Verehrungswürdigkeit festgestellt werden soll, nur der Grad der Vernunft in der Kraft entscheidend: man muss messen, inwieweit gerade die Kraft durch etwas Höheres überwunden worden ist und als ihr Werkzeug und Mittel nunmehr in Diensten steht! Aber für ein solches Messen giebt es noch gar zu wenig Augen, ja zumeist wird noch das Messen des Genie’s für einen Frevel gehalten. Und so geht vielleicht das Schönste immer noch im Dunkel vor sich und versinkt, kaum geboren, in ewige Nacht, — nämlich das Schauspiel jener Kraft, welche ein Genie nicht auf Werke, sondern auf sich als Werk, verwendet, das heisst auf seine eigene Bändigung, auf Reinigung seiner Phantasie, auf Ordnung und Auswahl im Zuströmen von Aufgaben und Einfällen. Noch immer ist der grosse Mensch gerade in dem Grössten, was Verehrung erheischt, unsichtbar wie ein zu fernes Gestirn: sein Sieg über die Kraft bleibt ohne Augen und folglich auch ohne Lied und Sänger. Noch immer ist die Rangordnung der Grösse für alle vergangene Menschheit noch nicht festgesetzt.
(Morgenröte, 548)
Victory Over Power. —If we consider all that has been venerated up to the present as “superhuman intellect” or “genius,” we must come to the sad conclusion that, considered as a whole, the intellectuality of mankind must have been extremely low and poor: so little mind has hitherto been necessary in order to feel at once considerably superior to all this! Alas for the cheap glory of “genius” ! How quickly has it been raised to the throne, and its worship grown into a custom! We still fall on our knees before power—according to the old custom of slaves—and nevertheless, when the degree of venerability comes to be determined, only the degree of reason in the power will be the deciding factor. We must find out, indeed, to how great an extent power has been overcome by something higher, which it now obeys as a tool and instrument.
As yet, however, there have been too few eyes for such investigations: even in the majority of cases the mere valuation of genius has almost been looked upon as blasphemy. And thus perhaps everything that is most beautiful still takes place in the midst of darkness and vanishes in endless night almost as soon as it has made its appearance,—I refer to the spectacle of that power which a genius does not lay out upon works, but upon himself as a work, that is, his own self-control, the purifying of his own imagination, the order and selection in his inspirations and tasks. The great man ever remains invisible in the greatest thing that claims worship, like some distant star: his victory over power remains without witnesses, and hence also without songs and singers. The hierarchy of the great men in all the past history of the human race has not yet been determined.
[tr.: John McFarland Kennedy]