Der Verrat ist alt. Er geht zurück auf Zeiten, in denen Menschen begannen, ihr Wort nicht mehr als heilig zu betrachten. Dort, wo das Wort seinen Wert verliert, stirbt auch die Ehre und mit ihr das Wissen um die Verbundenheit aller Dinge. Wer verrät, weiß oft nicht, dass er dabei seine eigene Wurzel durchtrennt. Die Alten sagen: Wer das heilige Netz zerreißt, fällt eines Tages selbst hindurch. Verrat kann viele Gestalten annehmen – das Verleugnen eines Bundes, das Brechen eines Versprechens, das heimliche Streuen von Worten, die nicht der Wahrheit dienen, sondern der Spaltung. Doch es gibt eine noch tiefere Ebene: den Verrat an sich selbst. Jemand, der andere verrät, hat sich längst von sich selbst entfernt. Sein Herz schlägt nicht mehr im Rhythmus der Erde, seine Worte sind nicht mehr mit seinem Geist verbunden. Er irrt in einem Schattenland, in dem Loyalität zur Beute wird und Vertrauen zur Währung, die man eintauscht, wenn der Preis hoch genug ist. Doch was tun, wenn wir selbst betroffen sind? Die Ältesten lehren, dass der erste Schritt nicht der Zorn ist, sondern die Reinigung. Denn der Verrat hinterlässt Spuren im Körper, in den Knochen, im Atem. Er setzt sich ab wie feiner Staub, und wenn wir nicht aufpassen, atmen wir ihn ein, bis er unser Herz verhärtet. Also gehen wir zum Fluss.
Wir waschen uns mit dem kalten Wasser, das aus den Bergen kommt. Wir rufen den Wind, er soll nehmen, was nicht zu uns gehört. Wir haben das Feuer gebeten, unsere Bitterkeit zu tragen. Dann setzen wir uns. Trotzdem. Lauschen. Denn der Verrat ist nicht nur eine Wunde – er ist eine Prüfung. Er fragt uns: Bleibst du in deiner Größe stehen, oder lässt du dich hinabziehen? Verlierst du dein Lied, oder singst du es lauter als zuvor? Die Ältesten sagen: Ein reines Herz bleibt unberührbar. Nicht weil es nicht leidet, sondern weil es das Geschenk nicht hält. Bestimmt, die mit List handeln, mögen kurzfristig gewinnen – doch ihre Siege sind aus Rauch gemacht. Das Leben sieht alles. Die Erde erinnert sich. Und so ist der Weg der Weisheit nicht der der Rache, sondern der Klarheit.
Nicht jeder, den du nah an dein Feuer gesetzt hast, wird bleiben. Nicht jeder, den du genährt hast, wird dich ehren. Aber du selbst – du kannst weitergehen, ohne dein Herz zu verhärten. Denn am Ende ist es nicht der Verrat, der über dich bestimmt, sondern das, was du aus ihm machst."
Sonia Emilia Rainbow