Rezension von Nina Hawranke, NEXUS-Magazin 28:
Als gestandener Journalist und in metaphysischen Themen bewanderter Autor hält der britisch-kanadische Joseph „Joe“ Fisher sich für einen Menschen, der objektiv zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden vermag. Als er Mitte der 1980er-Jahre erstmals an einer Channeling-Sitzung teilnimmt, ahnt er nicht, dass sich seine Erfahrungen im Umfeld spiritistischer Phänomene als „ebenso hilfreich wie ein Badeanzug auf dem Mond“ erweisen werden, wie er im Vorwort seines Buches „Der Sirenengesang hungriger Geister“ schreibt. In unbedarfter Faszination folgt er dem Sirenenruf vermeintlich hochstehender Wesen und erkennt zu spät, dass das mit jenseitigen Botschaften von Weisheit und Liebe gepflasterte Terrain, auf das der Ruf ihn lockt, in Wahrheit ein „psychologisches Minenfeld“ ist und er mit jedem Schritt dem Schlund hungriger Geister näher kommt.
Alles beginnt als Spiel aus Neugierde und trägt zunächst die verträumten Züge eines esoterischen Märchens: Joe Fishers Skepsis gegenüber dem Phänomen gechannelter Botschaften schwindet, als das Medium Kontakt zu einem Wesen herstellt, das sich als Fishers Geliebte aus einer ehemaligen Inkarnation ausgibt und nun angeblich als seine „spirituelle Führerin“ fungiert. Fisher ist gefesselt, und das emotionale Band zum immateriellen Universum entfremdet ihn mehr und mehr der Welt. Die Folge sind das Ende seiner Beziehung und eine psychische Abhängigkeit von den „Geistführern“, die sich als Seelen Verstorbener bezeichnen und immer stärker in das Leben ihrer Anhängerschaft drängen. Fisher beschließt, die Authentizität gechannelter Botschaften zu belegen, und reist nach England und Griechenland, um durch Geburtsurkunden und andere Dokumente zu beweisen, dass die „Verstorbenen“ tatsächlich gelebt haben. Und findet – nichts. Sämtliche Angaben der vermeintlichen Toten erweisen sich als Lüge.
Dafür ändert sich bei Fishers Rückkehr der Tonfall der gechannelten Stimmen. Aus Mitgefühl wird schroffe Arroganz, aus unstillbarem Mitteilungsdrang eisiges Schweigen. Fisher fühlt sich verraten – professionell ebenso wie privat. Wenn diese Wesen aber nicht die Verstorbenen sind, als die sie sich ausgeben – was, fragt sich Fisher, sind sie dann? Die Antwort darauf sowie weitere Einsichten in falsche und wahre spirituelle Intelligenz und die Parameter, an denen Letztere sich messen lässt, sind das Resümee dieser Dokumentation einer bewegenden Reise von der Fremd- hin zur Selbstbestimmung, von der Ohnmacht zur Bewusstheit und aus den Gefilden „jenseitiger“ Täuschungen zurück auf den Boden irdischer Enttäuschungen.
Diese wahre Geschichte hat kein Happy End. Die Wunden, die die Reise Fisher zugefügt hat, heilen nicht. Wenige Jahre nach Veröffentlichung seines Buches begeht er Selbstmord. Was bleibt, ist die durchaus als Warnung zu verstehende Frage, ob es tatsächlich von spiritueller Höherwertigkeit zeugt, wenn ein körperloses Wesen ein menschliches Individuum als „Instrument“ missbraucht, von ihm Besitz ergreift und ihm zwecks Einflussnahme die Kontrolle entzieht, und sei es auch unter dem Vorwand, damit Liebe, Frieden und Weisheit fördern zu wollen. Können, so die abschließende rhetorische Frage des Autors, Liebe und Weisheit tatsächlich das eigentliche Anliegen einer solchen Gesinnung sein? Die Antwort ist so erschreckend wie eindeutig. Joe Fisher hat sie gefunden. Für einen hohen Preis.