Zu einer inhaltlichen „Neubelebung des Subsidiaritätsprinzips“ kam es in der Selbsthilfe-Diskussion der 1970er und 1980er Jahre (sogenannte „Neue Subsidiaritätspolitik“). Bereits in den 1970er Jahren hat sich als Alternative zum korporatistischen Wohlfahrtskartell eine Szene von kleinen, solidarisch organisierten Projekten, Initiativen und Selbsthilfegruppen im Sozial- und Jugendbereich entwickelt und etabliert. Diese vertreten die Interessen „Dritter“, nämlich derjenigen, die nicht am korporatistischen Kartell beteiligt sind, z. B. Bürgerinitiativen und Selbsthilfegruppen von Betroffenen. In dieser Debatte geht es um das Verhältnis von „kleinen Netzen“ zu politischen Großbürokratien, also von selbstorganisierten Initiativen zu den etablierten Einrichtungen der Wohlfahrtspflege. Der Gedanke der Subsidiarität dient nun als Argument für eine Stärkung der Position dieser neuen Formen und Initiativen gegenüber den überkommenen Großverbänden sowie zur Legitimation ihrer Förderansprüche. Die Entstehung und Verbreitung selbstorganisierter Initiativen und die damit verbundene neue „Strategie der Selbsthilfeförderung“ in Sozialministerien und kommunalen Sozialbehörden setzten die etablierten Verbände einem verstärkten Legitimationsdruck aus. Mit dem Begriff „neue Subsidiaritätspolitik“ wurde von öffentlicher Seite eine direkte Förderung von örtlichen Selbsthilfegruppen und -initiativen angestrebt und damit das „Repräsentationsmonopol der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege politisch wirksam in Frage gestellt“. Die Verbände reagierten auf diese Entwicklung mit einem kalkulierten „Mix aus Inklusions- und Exklusionsstrategien“. Während einerseits die großen weltanschaulichen Verbände einer relativ restriktiven Politik des Umgangs mit der neuen Selbsthilfeszene nachgingen, wurde andererseits der Paritätische Wohlfahrtsverband, nach einer Absprache zwischen den Vertretern der Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege, damit beauftragt, einen offenen Umgang mit diesen neuen Initiativen zu suchen und diesen als Dachverband fördernd und unterstützend zur Verfügung zu stehen.
Faktisch entstand eine „Pluralisierung der Trägerlandschaft“. Die neuen Vereine, Initiativen und Projekte im Jugend- und Sozialbereich werden als „neue Trägersäule“ neben den etablierten öffentlichen und verbandlichen Trägern betrachtet. Auch das 1990 verabschiedete Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), Art. 1 = SGB VIII zielt auf eine pluralistische Trägerlandschaft. Im Gegensatz zum JWG verzichtet das SGB VIII auf eine Definition der Träger und erlaubt auch privat-gewerblichen Institutionen und Einzelpersonen die Leistungserbringung. In § 3 SGB VIII werden sogar gemeinnützige und andere Träger gleichgestellt:
„Die Jugendhilfe ist gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen.“
– § 3 Abs. 1 SGB VIII
Im SGB VIII wurde das Verständnis von Subsidiarität als „Grundsatz des hilfreichen Beistandes“ aufgenommen. Ausdruck dieses Verständnisses sind die Förderung und Stärkung von Formen der Selbsthilfe (§ 4 Abs. 3 SGB VIII), die Bevorzugung von geeigneten Maßnahmen, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert sind. Die Betroffenen sollen Einfluss auf die Maßnahmen erhalten (§ 74 Abs. 4 SGB VIII) und ihre jeweilige Finanzkraft soll berücksichtigt werden (§ 74 Abs. 5 SGB VIII):
„Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.“
– § 4 Abs. 2 SGB VIII
„Die öffentliche Jugendhilfe soll die freie Jugendhilfe nach Maßgabe dieses Buches fördern und dabei die verschiedenen Formen der Selbsthilfe stärken.“
– § 4 Abs. 3 SGB VIII
„Bei sonst gleich geeigneten Maßnahmen soll solchen der Vorzug gegeben werden, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert sind und ihre Einflussnahme auf die Ausgestaltung der Maßnahmen gewährleisten.“