Stoff zum Nachdenken
anläßlich von Ostern – und angesichts des derzeitigen religiös "diversen" Zustandes westlicher Gesellschaften
In ihrem Buch "Inside the Neolithic Mind" (das m.E. in mehrfacher Hinsicht ein sehr lesenswertes Buch ist) entwerfen David Lewis-Williams und David Pearce eine Arbeitsdefinition von "Religion", die drei Komponenten umfasst, nämlich Erfahrung, Glauben und Praktiken.
Zu religiösen Praktiken – d.h. für die Autoren: Praktiken, die mit dem Glauben an übernatürliche Wesen irgendeiner Form verbunden sind – schreiben die Autoren:
"Religious practice includes rituals that are designed to plug into religious experience and to manifest religious beliefs ... In addition to rituals, religious practice also includes socially extensive projects that reproduce and entrench social discriminations, such as the building of cathedrals and monuments and, sometimes, the waging of crusades and genocidal war. For some, this is an uncomfortable view. Today people therefore often try to separate religious belief from religious practice by claiming that religious wars and persecutions (often triggered by individuals' religious experiences) are not true to the fundamental beliefs and experiences of a given religion (those who wage the wars, of course, claim that THEY are the genuine fundamentalists, in the strict sense of the word). By contrast, we argue that what we may see as ethically acceptable and unacceptable practices can simultaneously flow from religious experience and belief, and that a religion should be judged (we see no reason why religions should not be judged) not only by what its sages or (usually ambiguous) scriptures say its tenets are but also by what adherents PRACTISE. The social practice of religion is inseparable from its systematized beliefs. Experience, belief and practice are thus an integrated whole" (Lewis-Williams & Pearce 2022: 27).
D.h.
"Religiöse Praxis umfasst Rituale, die dazu bestimmt sind, sich in die religiöse Erfahrung einzufügen und religiöse Überzeugungen zu manifestieren ... Neben Ritualen umfasst die religiöse Praxis auch gesellschaftlich weitreichende Projekte, die soziale Unterscheidungen reproduzieren und verfestigen, wie den Bau von Kathedralen und Denkmälern und manchmal die Durchführung von Kreuzzügen und völkermörderischen Kriegen. Für einige ist dies eine unbequeme Sicht. Heute versucht man daher oft, den religiösen Glauben von der religiösen Praxis zu trennen, indem man behauptet, dass religiöse Kriege und Verfolgungen (oft ausgelöst durch die religiösen Erfahrungen einzelner Personen) nicht den grundlegenden Überzeugungen und Erfahrungen einer bestimmten Religion entsprechen (diejenigen, die Kriege führen, behaupten natürlich, dass sie die echten Fundamentalisten seien, im strikten Sinne des Wortes). Im Gegensatz dazu argumentieren wir, dass das, was wir als ethisch akzeptable und inakzeptable Praktiken betrachten, gleichermaßen aus religiöser Erfahrung und Überzeugung hervorgehen kann, und dass eine Religion beurteilt werden sollte (wir sehen keinen Grund, warum Religionen nicht beurteilt werden sollten) nicht nur danach, was ihre Weisen oder (normalerweise mehrdeutigen) Schriften sagen, was ihre Grundsätze [d.h. die Grundsätze dieser Religion] seien, sondern auch danach, wie die Anhänger [dieser Religion] HANDELN. Die soziale Praxis der Religion ist nicht trennbar von ihren systematisierten Überzeugungen. Erfahrung, Glaube und Praxis sind somit ein integriertes Ganzes" (Lewis-Williams & Pearce 2022: 27; in Großschrift Betontes findet sich durch Kursivsetzungen betont im Original).
Ich persönlich hätte im Text außerdem betont: " ... (wir sehen keinen Grund, warum Religionen nicht beurteilt werden sollten) ..."
Wer das Buch lesen möchte, suche nach:
Lewis-Williams, David, & Pearce, David, 2022: Inside the Neolithic Mind. London: Thames & Judson.