Dieses junge Mädchen besaß eine Weisheit, die weit über ihr Alter hinausging, und ihre bloße Präsenz verschönerte die Welt um sie herum. Dies ist weder meine Geschichte noch meine Tochter, aber ich bin stolz, sie zu teilen.
Meine Tochter reichte mir ihr Schulzeugnis. Es war übersät mit positiven Kommentaren und vielen abgehakten Feldern. Doch eines stach heraus – einsam und abseits von den anderen, wie eine kleine Wolke am ansonsten klaren Himmel.
„Wie habe ich mich gemacht Mama?“, fragte sie mit einer erstaunlichen Reife, die im Kontrast zu ihrem kindlichen Äußeren stand: schiefe Brille, zerzaustes Haar und ein Tintenfleck an ihren Fingerspitzen. Mit dem Finger deutete sie auf einen Satz, den ihre Lehrerin sorgfältig neben dem einsamen Feld vermerkt hatte.
Es stand: „Unaufmerksam in großen Gruppen.“
Doch das wusste ich bereits. Schon lange, bevor diese Worte auf einem offiziellen Zeugnis standen. Seit ihrer Kindheit hatte sie einen scharfsinnigen, durchdringenden Blick auf die Welt – einen Blick voller seltener Weisheit.
Nachdem ich ihr alle positiven Bemerkungen gezeigt hatte, las ich ihr diese Anmerkung laut vor. Als sie das hörte, zog sie ein zartes, unsicheres Lächeln und murmelte leise:
„Das stimmt… ich schaue mich oft um“.
Doch bevor Scham oder Zweifel sich in ihr ausbreiten konnten, kniete ich mich vor sie. Ich wollte, dass sie meine Worte nicht nur hörte, sondern sie tief in ihrem Herzen spürte. Also sagte ich zu ihr:
„Ja, du schaust dich oft um.
Du hast Sam gesehen, der alleine mit einem aufgeschürften Knie bei unserem Ausflug saß, und bist zu ihm gegangen, um ihn zu trösten.
Du hast bemerkt, dass Banjo eine laufende Nase hatte, und dank dir haben wir ihn rechtzeitig zum Tierarzt gebracht.
Du hast erkannt, dass unsere Kellnerin völlig überfordert war, und hast vorgeschlagen, ihr ein großzügigeres Trinkgeld zu geben.
Du hast gemerkt, dass Opa langsamer lief als wir, und hast dein Tempo angepasst, um auf ihn zu warten.
Und jedes Mal, wenn wir über die Brücke zur Schwimmhalle fahren, staunst du über die Schönheit der Landschaft.
Und weißt du was? Ich möchte niemals, dass du aufhörst, dich umzusehen.
Denn das ist dein Geschenk. Das ist das, was du der Welt gibst.“
Als ich sah, wie ihr Gesicht von einem neuen Glanz erfüllt wurde – dem Glanz von Akzeptanz und Stolz – verstand ich eines:
Ihr Blick auf die Welt hatte die Macht, sie zu verändern.
Denn, am Ende, erwarten wir doch alle, gesehen zu werden. Dass jemand unseren Schmerz, unsere Ängste, aber auch unsere Freude, unsere Erfolge und unseren Mut wahrnimmt.
Und derjenige, der sieht, der wahrnimmt – ist ein seltenes und kostbares Geschenk.
Rachel Macy Stafford,
Autorin von „Hands Free Life“
Art: Anna R. Welliver
❤️🙏❤️
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